Berufung als Beruf: Annette Sandner

Annette Sandner © Gina Gorny

Es gibt Menschen, die Berufe ergreifen und ausfüllen, die kaum bekannt oder unbeachtet sind. So unterschiedlich die Tätigkeiten und Inhalte auch sind, so eint sie doch etwas: Pure Leidenschaft für ihr Thema. In der Interviewreihe “Berufung als Beruf” möchte ich Menschen, ihre Berufe und Lebenseinstellungen vorstellen und zu Wort kommen lassen, die ihr ganz besonderes Etwas entdeckt und entwickelt haben, es leben und erlebbar machen. 
Annette Sandner, Food-Fotografin und Genuss-Consultant, begeistert mich immer wieder aufs Neue mit eigenen Rezeptkreationen und Fotos sowie mit Reportagen und Unternehmensdarstellungen. Die Leidenschaft für ihre Themen wird dabei ebenso spürbar wie ihre von Wertschätzung geprägte innere Haltung und hohe Präzision in der Umsetzung. Viel Freude und gute Inspirationen beim Lesen!

Bitte stell Dich, Deinen Beruf und Deinen Werdegang kurz vor.

Um von hinten zu beginnen: Heute bin ich seit vier Jahren selbstständige Food-Fotografin und biete Online Marketing-Beratung für Gastronomie- und Hotelkunden an. Außerdem schreibe ich auf meinem blog culinarypixel.de über Gastronomie- und Reisethemen. Mein Werdegang dorthin klingt vielleicht zunächst ungewöhnlich, eigentlich aber war jede einzelne Station sinnvoll für das, was ich heute kann und tue: Nach dem Abitur ein Magister-Studium der Politik Wissenschaft, Germanistik und Medienrecht. Viele Praktika und freie Mitarbeit bei verschiedenen Medien (SZ, Radio, etc.) und Unternehmen (o2, EADS u.a.). Danach ein kurzer Ausflug in die PR- und Agentur-Landschaft, bevor ich zu meinem ersten festen Job kam: Online Content Manager bei einem Online Shop für Feinkost und Wein, damals ein Pionier in der Branche. Weitere Stationen bei Bertelsmann und Amazon. Außerdem: die Gründung meines food & travel-Blogs noch weit vor meiner Selbstständigkeit im Jahr 2012.

Ausdrucksstark: Annette begeistert – mit ihrem Wissen, ihrer Expertise und ihrem mitreißenden Wesen.
© Gina Gorny

Wann hast Du Deine berufliche Leidenschaft erkannt und wann sie zum Beruf gemacht?

Meine Leidenschaft für Kulinarik ist mir in die Wiege gelegt, denn ich bin aufgewachsen im elterlichen Hotel- und Gastronomiebetrieb. Ich wollte allerdings nie in die Gastronomie – ich wollte immer schreiben. Deswegen haben mich die Geisteswissenschaft und der Journalismus angezogen. Nach einem ziemlich unsanften und unbefriedigenden Landung in der PR nach der Uni habe ich mich nur auf Stellen beworben, auf die ich Lust hatte – auch ohne die entsprechend geforderten Kenntnisse. Schon meine Festanstellung bei dem Shop für Feinkost und Wein hat viele meiner Leidenschaften vereint: Schreiben, Online-Themen und Technik und natürlich die Kulinarik. Als ich die Stelle nach knapp drei Jahren verlassen habe, hat mir die fachliche Auseinandersetzung mit diesen Themen sofort gefehlt. Ich war weit über “ich koche ganz gerne” hinweg und brauchte die geistige und schriftliche Auseinandersetzung mit den kulinarischen Themen. Und auch die visuelle Beschäftigung damit, denn ich hatte mir noch dazu ein Jahr vorher eine Kamera gekauft, mit der ich mehr als sehr gerne beschäftigte. Der Blog war also ein paar Jahre mein kulinarischer Ausgleich zu meinem Vollzeitjob auf der anderen Seite, den ich zwar mochte – wirklich gebrannt habe ich aber für die anderen Themen. Alle Urlaubstage, Abende und Wochenenden gingen für mein “Hobby” drauf, das sich immer mehr professionalisierte. Bis ich es zum Beruf machte, habe ich allerdings einen kleinen Schubs gebraucht.

Sascha Kemmerers Wälder Hennele „Sous vide gegartes Suprême mit Tandoori Masala“. Dazu gegrillter Kaisergranat, grünes Tomatenrelish, Riebelmais-Krapferl, Limonenblatt-Korianderglace. Entstanden und von Annette dokumentiert in der Kilian Stuba im Kleinwalsertal.

Was (und/oder wer) hat Dir auf diesem Weg Mut gemacht und Dich gestärkt?  

Viele Freunde und Bekannte haben mich immer wieder gefragt, ob ich meine kulinarische und fotografische Neigung denn nicht zum Beruf machen wolle. Ich habe das immer abgetan und mich stattdessen zeitlich zerrissen. Aber nie wirklich so weit gedacht, dass das eine ernsthafte Option wäre. Bis mir ein Freund sehr deutlich gesagt hat, dass ich mich endlich trauen solle. Er war sehr überzeugt davon, dass das funktionieren würde – ganz offensichtlich mehr als ich. Aber das war der Punkt, der bei mir einen Denkprozess in Gang gesetzt hat, den ich auch nicht mehr aufhalten konnte. Zwei Monate später habe ich gekündigt.

Selbstbewusst und strahlend: Annette trifft man bei Gastronomie-Events, Food-Messen und Weinproben als Bloggerin, Dozentin, Fotografin oder einfach auch mal als Genießerin. © Gina Gorny

Wo liegen oder lagen Hindernisse – welchen Preis hat es Dich gekostet (oder kostet es noch)?

Der Preis, wenn man davon so sprechen möchte, ist für mich vom ersten Tag an eher ein Gewinn gewesen. Ich wollte nie in die Festanstellung zurück und war immer glücklich mit der Entscheidung – auch wenn es schwierige Phasen gab. Einen Preis im finanziellen Sinne habe ich schon bezahlt. Sicherlich hätte ich mittlerweile entspannter deutlich mehr Geld “übrig”– mittlerweile bin ich auf jeden Fall wieder auf dem Lohnniveau meiner Festanstellung angekommen.

“Ente, Ente, Ente, Ente” im Hotel Restaurant Reuter bei Iris Bettinger,aus “Frauen an den Herd”, erschienen im Christian Verlag, Stephanie Bräuer. (© Annette Sandner)

Würdest Du heute etwas anders machen? Wenn ja, was? Wenn nein, weshalb nicht?

Ich denke, das war alles richtig so, wie es war. Ich würde mir früher einen Steuerberater suchen und gar nicht erst selbst in diesen Dingen herumfuhrwerken. Ich hätte vielleicht noch strategischer geplant, wo ich wann sein möchte. Aber dabei hätte ich womöglich einige spannende Projekte auch verpasst, die mich jetzt auch da hin geführt haben, wo ich bin.

Diese Burrata hat Annette für die Website von Ess Frequenz bei der Brainlab AG in München-Riem fotografiert. Das Betriebsrestaurant wurde 2017 mit dem Frankfurter Preis für die beste Gemeinschaftsverpflegung ausgezeichnet. (© Annette Sandner)

Was würdest Du jemandem empfehlen, der an sich und seinen Fähigkeiten zweifelt und sich so nicht auf seinen Weg begibt bzw. ihn abbrechen will?

Zweifel ist ein schlechter Berater für Selbstständige. Ich glaube, Vertrauen in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten ist absolut essentiell, um auch einmal Durststrecken mit dem Wissen überleben zu können, dass schon wieder ein Auftrag kommen wird. Mir hilft es, mich immer wieder auf das zu besinnen, was ich kann. Und meiner Leidenschaft zu folgen. Wenn man wirklich liebt was man tut, ist man auch gut darin. Außerdem hilft es mir immer, mir kritische Berater und Gesprächspartner zu suchen. Feedback hilft nur, wenn es ehrlich ist. Das kann weh tun oder mindestens unbequem sein, bringt einen aber weiter. Und von diesen Menschen kann man meistens auch Hilfe erwarten, wenn es einmal holprig ist.

Viktoria Fuchs im Spielweg beim Plating. Aus “Frauen an den Herd”, Stephanie Bräuer, Christian Verlag.⁣⁣ ©Annette Sandner

Was wünscht Du Dir, welches Ziel hast Du für die Zukunft und wie sehen Deine nächsten Schritte aus?

Ich möchte gerne einen Status erreichen, in dem ich entspannt zwei oder drei Wochen Urlaub machen kann, weil ich entweder ein Polster habe, das groß genug ist – oder Leute, die Arbeit in der Zeit für mich auffangen können. Delegieren, Mitarbeiter in verschiedenen Modellen finden, um wachsen zu können – das ist ein Thema, das mich gerade umtreibt.

Perfektes Wetter, perfekte Promenade in Thessaloniki (© Annette Sandner)

Welche Frage hätte ich Dir noch stellen können oder sollen?

Dieser schmale Grat zwischen die Leidenschaft zum Beruf machen und trotzdem noch Freude an den Leidenschaften behalten – Freizeit und Arbeit vom Gefühl her noch trennen können. Das ist, glaube ich, auch ein spannendes Gesprächsthema.

Ich bedanke mich sehr herzlich für das Interview und empfehle allen, die nun Appetit auf Annettes Fotos und Reportagen haben, einen Blick auf ihre Website und/oder ihr Blog oder auch in ihre Bücher.