Es gibt Menschen, die Berufe ergreifen und ausfüllen, die weniger bekannt oder kaum beachtet sind. So unterschiedlich die Tätigkeiten und Inhalte auch sind, so eint sie doch etwas: Pure Leidenschaft für ihr Thema. In der Interviewreihe “Berufung als Beruf” möchte ich Menschen, ihre Berufe und Lebenseinstellungen vorstellen und zu Wort kommen lassen, die ihr ganz besonderes Etwas entdeckt und entwickelt haben, es leben und erlebbar machen.
Doris Schuppe ist eine Online-Pionierin und von erfrischender Offenheit gegenüber neuen Technologien und Kommunikationskanälen. Außerdem liebt sie es, Menschen zu vernetzen und Freundschaften auch über größere Distanzen zu pflegen. Denn vor ein paar Jahren erfüllten sie und ihr Mann Rainer sich einen Herzenswunsch und übersiedelten nach Mallorca ins hübsche Städtchen Santanyí. Dort eröffneten sie den technisch top ausgerüsteten und zugleich urgemütlichen Coworking-Space Rayaworx für alle, die kurzes oder auch länger andauerndes Urlaubsgefühl mit Job-Themen verquicken wollen.
Viel Freude und gute Inspirationen beim Lesen!
Bitte stell Dich, Deinen Beruf und Deinen Werdegang kurz vor.
Huch, wo soll ich anfangen? Ich habe eine Berufung – und das ist, Menschen Gelegenheiten zu bieten, neue Perspektiven zu gewinnen und (hoffentlich) selber etwas Neues zu erschaffen. Das begann schon mit meiner Computer-Begeisterung. Sobald ich das Medium online für mich entdeckte, habe ich fast missionarisch anmutend sehr viele Menschen und Organisationen in meinem Umfeld damit und den spannenden Möglichkeiten vertraut gemacht. Und ja, das ist bis heute so: Zum einen in meinen Seminaren an der Akademie der Bayerischen Presse in München und zum anderen mit einer Coworking-Umgebung im Südosten Mallorcas.
Verlief Deine berufliche Laufbahn einer Autobahn ähnlich glatt und geradeaus?
Meine berufliche Karriere hat einen roten Faden und der heißt: Online. So beschloss ich als frischgebackene Diplombiologin mit Nebenfach Informatik eine Wissensdatenbank zu programmieren und kehrte der damals (und noch heute?) Frauen eher wenig aufgeschlossenen Universität den Rücken. Typisch Online-Pionierin folgte ich dann jeder Spur, die interessant wirkte. So kam ich zum Fachjournalismus, wechselte dann zur Public Relations-Abteilung, um dort Printjournalistinnen und -journalisten das Internet in Seminaren zu erklären. Von den Unternehmens-Schreibtischen wechselte ich in die Dienstleistungsbranche und nahm wertvolle Erfahrungen mit in meine Selbständigkeit. Die wurde nach dem Zusammenbruch der DotCom-Ära jäh zerstört, als meine aus den Medien freigesetzten neuen Fachkolleginnen und -kollegen das magere Zeilenhonorar für Fach-PR-Texte ausriefen.
Logisch dass mich als Online-Pionierin das Social Web faszinierte. Schließlich schien es zu erfüllten, was wir uns von Digitalien in den 1990er erhofften: einfaches Publizieren und Vernetzen. Das stellte ich auch in den Fokus meiner neuerlichen Selbständigkeit und brachte mich zum Ausprobieren neuer Formen des Zusammenarbeitens.
Wann hast Du Deine berufliche Leidenschaft erkannt und wann sie zum Beruf gemacht?
Als Pionierin habe ich damals gar nicht gemerkt, dass ich Pionierin bin. Da habe ich mich schon ganz schön unter Wert „verkauft“. Erst als ich Josef Dietl auf einer Linux-Party auf sein T-Shirt ansprach, bemerkte ich im Verlauf unseres Gesprächs (das in ein Bewerbungsgespräch mündete), wie wertvoll meine Fähigkeiten sind. Und dass ich aufhören sollte, in den klassischen Berufen nach meiner Berufung zu suchen. Das Neue ist meine Berufung, das, was gestaltet und erst in neue Formen gegossen werden will.
Was (und/oder wer) hat Dir auf diesem Weg Mut gemacht und Dich gestärkt?
Auf jeden Fall meine Chefin bei der Firma, zu der mich besagter Josef gecastet hatte: Marielle Bureick. Sie hat mich wie in einem Mentoring an ihren Erfahrungen teilhaben lassen, hat mir Tipps gegeben und gleichzeitig Freiräume zum Ausloten geboten. Für die Selbständigkeit zeigten mir meine Erfahrungen in den Agenturen, dass ich keine Angst davor haben sollte.
Den Rücken stärkten mir damals – neben meinem Mann Rainer – die webgrrls München und später in Richtung Mallorca meine Coworking Hood im combinat56. Und auch Einzelpersonen mit wunderbaren Impulsen wie Claudia Kimich, Klaus Eck, Maren Martschenko, Ulf Kramer und auch eine gewisse Frau Wilhelm 🙂
Wo liegen oder lagen Hindernisse?
Im Kopf, also im Mindset. Es war mir lange gar nicht in den Sinn gekommen, dass ich auch selbständig arbeiten könnte. Dann hatte ich mehr mit Freelancer_innen zu tun, und dachte mir, naja, es ist schon risikoreicher und es braucht eine Persönlichkeit. Die hatte ich inzwischen aufgebaut, bekam mentale Unterstützung von meiner früheren Chefin und legte los. Als dann die DotCom-Krise einsetzte konnten viele sehen: Als Angestellte ist das Berufsleben letztlich auch nicht weniger risikoreich.
Bevor ich mich selbständig machte, dachte ich oft, dass ich dazu ein BWL-Studium oder eine kaufmännische Ausbildung benötigen würde. Gerade als Quereinsteigerin unterschätzte ich zunächst, was ich alles im so genannten „Training on the job“ in kleineren Verlagen und Agenturen sowie in einer Budgetplan-getriebenen Organisation gelernt hatte. Ich finde Excel-Zahlenspiele zur Planung gut, da sie Abhängigkeiten aufzeigen können. Für meinen Business Plan genoss ich die Befreiung davon durch den Right-Brain Business Plan von Jennifer Lee.
Würdest Du heute etwas anders machen?
Nö, das passt schon so. Es waren in der Rückschau immer passende Steps und Erfahrungen. Na gut, vielleicht hätte ich damals Ende 2009 nicht nur eine Coworking Community, sondern einen Coworking Space in München starten können. Aber hey: Dann wäre mir wahrscheinlich kaum die Idee für Coworking auf Mallorca in den Sinn gekommen. Es ist alles für etwas gut.
Was würdest Du jemandem empfehlen, der an sich und seinen Fähigkeiten zweifelt und sich so nicht auf seinen Weg begibt bzw. ihn abbrechen will?
Hol Dir Unterstützung von einer beruflich erfahrenen Person, die sich dazu bekennt, mit Abstand aber abrufbar an Deiner Seite zu sein. Um eine Sicht von außen dazu zu gewinnen, die Dir gleichzeitig nicht reinredet oder Dir ungefragt ‚Patentrezepte‘ verpasst. Da wirst Du auf Empfehlung fündig oder Du gehst in einem beruflichen Netzwerk auf die Suche.
Meine Beobachtung: Wer zu viele Menschen fragt, sucht oft zu wenig bei sich selbst nach Antworten. Denn klar: Es kostet auch Energie, nach vielen verschiedenen Tipps in Dich hineinzuhorchen, was Du wirklich willst und brauchst.
Was wünscht Du Dir, welches Ziel hast Du für die Zukunft und wie sehen Deine nächsten Schritte aus?
Gerade bin ich dabei neue Wege als Expat zu beschreiten. In der hiesigen Coworking Community hat sich eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern gebildet: „Imago Kunst“. Von dieser Gemeinschaft beflügelt arbeite ich an einem Buchprojekt, das die Bedeutung und die kreativen Schöpfer_innen einer speziellen Kunstform, die wir tagtäglich achtlos passieren, sichtbar machen will.
Wir haben zu den ersten Objekten recherchiert und festgestellt, wie zäh es zum Teil ist, relevante Informationen herauszufinden. Und wie wichtig unsere Vernetzung und der Zufall ist, dass wir auf die richtige Spur kommen. Es bleibt spannend!
Welche Frage hätte ich Dir noch stellen können oder sollen?
„Bist Du glücklich auf Deiner Insel?“ Ja, ganz besonders seit wir unseren Platz direkt gegenüber dem alten Stadttor in Santanyí gefunden haben. Was für ein geniales Spannungsfeld: Dort das alte Tor Sa Porta Murada, zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert erbaut – und gegenüber wir digitalen Coworker mit einer 600 Mbit/s-Glasfaser-Internetverbindung …
Muchas gracias für das Interview, liebe @DoSchu! Und meine Empfehlungen gelten natürlich einem Besuch bei Rayaworx in Santanyí, der Lektüre von Doris‘ Blog und einem Blick auf ihre Kursangebote an der Akademie der Bayerischen Presse.